Leben, hier

Dienstag, 13. November 2007

Hair day

Wahrscheinlich war es ein Fehler, überhaupt zum Friseur zu gehen. In Italien trägt niemand längere Haare, ich hätte es wissen müssen.
Möglicherweise war es auch unklug, vorher nicht die Ausdrücke für "kürzer, bitte.", "weniger kürzer, bitte." und "nein, eigentlich wirklich nur ein ganz klein bisschen kürzer, bitte!" zu lernen.
Auf jeden Fall war es ganz und gar nicht schlau, sich fürs Sitzenbleiben zu entscheiden, als der nette Lehrling den Rasierapparat warmlaufen ließ.
Man muss wissen, ich bin nicht eitel, höchstens ein wenig. Aber man muss wissen, ich trage die Haare schon lange lang. Man muss zudem wissen, dass ich sie mag, meine Haare, und dass sie mich meist zu mögen schienen, wenn ich nett zu ihnen war. Man muss allerdings wissen: Unter nett verstehen meine Haare, in Ruhe gelassen zu werden (und ich ja häufig eigentlich auch).
Zudem sei angemerkt, dass in meinem Metier lange Haare eigentlich Mode sind, und jeder Verstoß gegen die Mode ein Statement (und jedes Statement ein kreativer Akt im Gesamtkontext, aber das führt jetzt zu weit).
Außerdem muss erwähnt werden, dass meine langen Haare eigentlich lange braune Haare waren, abgesehen von ihrem unteren Drittel von der Haarwurzel aus gesehen, da waren sie blonde lange Haare, aber dieses Drittel ist jetzt weg, und nicht nur das Drittel, oh nein, nicht nur das, aber das auch noch: Blond sind sie nicht mehr.
Und allgemein sei wenigstens hier konstatiert, dass man mir auch verschiedentlich sagte, lange Haare passten zu mir, das sei hier festgehalten, in jedem Fall, bevor sich wieder niemand mehr daran erinnert, weder an die langen Haare, noch daran, das gesagt zu haben, noch an alles andere.

Ach, was will ich sagen.

Ich war beim Friseur.

Jetzt alles kürzer.

Bisschen.


(und der Scheitel zeigt in die andere Richtung, aber da kann ich nichts dafür, das wollte er so.)

(Spannend, ich weiß.)

Sprichst du mich, sprichst du sonst nichts

Anfangs wunderte ich mich darüber, dass kein Italiener Englisch kann. Zumindest nur wenige, und noch habe ich niemanden getroffen, der es halbwegs flüssig beherrscht.
Doch je länger ich hier bin, desto mehr begreife ich: Italienisch ist eine eifersüchtige Sprache. Wenn du mich sprichst, sprichst du nichts anderes - das Land gleicht einer Mausefalle für Fremdsprachenkenntnisse.
So erklärt sich, warum die meisten tatsächlich nur Italienisch sprechen. So erklärt sich, warum nicht einmal die Tourist-Info mehrsprachige Broschüren hat. So erklärt sich, warum mein Englisch-Wortschatz schneller schrumpft als ein Schneemann auf Hawaii.

Ich merkte es, als ich gestern eine englische Sitcom sah: Plötzlich verstand ich nur noch die Hälfte der Folge (obwohl ich sie schon kannte!). Danach surfte ich probehalber auf einigen englischen Websites und fand den Verdacht bestätigt: Es hätten auch Koranübersetzungen sein können. Ich hatte keine Ahnung, worum es ging.
Nicht, dass ich täglich Englisch bräuchte. Gut, das Gefühl, mich in Weltsprache einigermaßen verständigen zu können, werde ich schon vermissen. Aber dafür habe ich bald 60 Millionen Italiener zum Reden.
Das divenhafte Benehmen der Sprache ist trotzdem ziemlich unfair. Vom Spanischen (300 Millionen) oder Französischen (immerhin 100 Millionen) sind solche Eskapaden nicht bekannt, und damit könnte ich mich wenigstens weltweit verständigen. Italienisch spricht man nur in Italien und auch in Italien eigentlich nicht. Es gibt über 50 Dialekte, die meisten davon deutlich weiter von der Ursprungssprache entfernt, als Bayerisch von Deutsch (also: weit).
Eine linguale Einbahnstraße ist Italienisch auch noch: Spanier, Franzosen, sogar Portugiesen können in ihrer Muttersprache auf Italiener einreden und die verstehen ungefähr, was gemein ist. Andersherum funktioniert das nicht, nein, nicht im Geringsten.

Das nun alles nicht weiter wichtig: Englisch kann man wieder lernen und ich bleibe ja nicht für immer hier. Es ist eine andere Angst, die mich seit gestern umtreibt: So groß ist mein Englischer Wortschatz nun auch wieder nicht. Ich habe keinen genauen Überblick, aber wenn es in diesem Tempo weitergeht, dann könnte er bald verbraucht sein. Und mir graut vor dem, was kommen muss: Einer hungrigen italienischen Sprache möchte man nicht nachts auf der Straße begegnen.
Womöglich macht sie sich rücksichtslos über meinen Deutschwortschatz her, knabbert an geliebten Adjektiven, beschnüffelt gierig zitternde Verben, sabbert angesichts fetter Substantive, die sich in einer Ecke zusammengerottet haben (sie waren noch nie besonders helle). Ohne, dass ich es verhindern kann, wird sie sich durch mein Deutsch futtern,wie ein Tieger nach einem jahrelanger Joghurtdiät, und wenn ich in die Heimat zurückkehre, bin ich vielleicht Sprachwaise ohne Ersatzmutter (aber mit einem erbärmlichen Italienisch, das voll und faul in der Ecke liegt und so karg im Ausdruck ist, wie bisher).

Deswegen lerne ich jetzt Englisch in Italien. Irgendeinen Puffer braucht man ja. Heute geht es los: Täglich 20 Vokabeln. Das ist die Dosis, mit der ich hoffe, das Biest unter Kontrolle halten zu können. Wenn es gieriger wird, muss ich mich nach anderen Lösungen umsehen. Hauptsache, ich kann es noch ein paar Monate von meinem Lieblingswortschatz fernhalten.
Wenn die Einträge auf diesem Blog weniger und wortkarger werden, seid so nett, bezahlt mir ein Flugzeug.

Freitag, 9. November 2007

Bici, Bici!

Bologna übrigens: Die Stadt der Fahrräder. Alle haben eins, nur du nicht. Das hat Gründe: Deins wurde geklaut. Aber du kannst es dir wieder kaufen.

Ernsthaft: So ist das. Jeder hat hier stets ein Fahrrad, nur selten hat man einen Monat lang dasselbe. Die Räder zirkulieren, es ist ein ständiger Kreislauf und an der richtigen, der parasitenanfälligen Stelle sitzen die, sagen wir, "Vermittler". Die Vermittler sind freundliche Männer um die dreißig, die dich im Gewühl der Straßen am Ärmel zupfen und flüstern "Bici, Bici?" Anfangs glaubt man noch an undurchsichtige Drogengeschäfte und seltsame Drogennamen, bis man herausbekommt: Ganz normale Fahrradhändler. Sie führen einen meist zwei Straßen weiter. Dort stehen eine Menge Drahtesel, der Zustand ist wechselhaft, der Preis konstant: 10 Euro für ein neues Bici. Umlackieren sollte man allerdings auch.

Hört sich doch erstmal: Nicht schlecht an. Und im Gegensatz zu all den anderen Trotteln kannst du dir ja ein anständiges Schloss kaufen. Allerdings erzählte mir eine Bekannte heute, wie sie nach der Vorlesung zu ihrem neuerworbenen Fortbewegungsmittel zurückkehrte, dass sie auf der Hauptstraße (!) doppelt (!!) abgesperrt hatte - und dort einen ihr bekannten "Vermittler" antraf, der sich gerade mit einer Zange daran zu schaffen machte. Empört protestierte sie in mehreren Sprachen, doch das brachte den Mann nicht aus der Ruhe: Er sah sie nur etwas verstört an und bedeutete, er mache hier schließlich seine Arbeit. Erst auf nachhaltig deutliche Aufforderung zog er widerwillig ab.

Also: Hast du doch kein Fahrrad in Bologna. Oder immer ein neues. Wie alle anderen auch.

Im Stadion

Der FC Bologna ist sowas wie Lokomotive Leipzig: Er passt qualitativ nicht zur Stadt. Man verleugnet ihn gern und hofft, er möge entweder irgendwann zu Ruhm und Ehre kommen oder sich einfach freiwillig auflösen (im Gegensatz zu Leipzig hat man hier außerdem zwei sehr erfolgreiche Basketballteams, auf die man sich konzentrieren kann). Während Lok Leipzig in irgendeiner Regionalliga dümpelt, hat es der hießige Klub zumindest in die Seria B geschafft - die allerdings ist im Jahresbudget mit den teutonischen Viertligisten vergleichbar. Und noch eine weitere Gemeinsamkeit besteht: Das Stadion ist bekannt als Treffpunkt der Ultras, Leipzigs und Bolognas rassistische Fanblocks sind weithin gefürchtet. So weit, so gut.

Dementsprechend sind die Sicherheitsvorkehrungen am Stadioneingang relativ radikal. Mein Pass wurde so oft kontrolliert, wie bei allen Grenzübertritten dieses Jahr zusammengerechnet. Man sollte meinen, eine Gruppe aus zwei Norwegern, einem Finnen, einer Irin, einer Ungarin, zweier Deutschen, einer Österreicherin, einem Holländers und einem Schotten sei nicht der Prototyp einer faschistischen Schlägergemeinschaft. Aber sicher ist sicher: Es dauerte fünf Minuten, bis der bullige Eingangskontrolleur überzeugt war, dass ich mit meinen zuckerfreien Karamellbonbons niemanden zu bewerfen im Sinn hatte, und der Schotte musste seine Kamera zweimal auseinanderbauen, um die Abwesenheit toxischer Substanzen oder geschickt minimierter Feuerwerkskörper zu beweisen. Dann: waren wir drin.

Dort: war es lustig. Das Stadion hat etwas vom Amphitheater, aber mehr das Alter als die Imposanz. Wir stießen auf Verrückte, die Fahnen verteilten, sie gaben uns welche, wir schwenkten, sie fragten, woher wir kämen, wir sagten es der Reihe nach, sie waren begeistert. In der Folge mussten wir Fußballvokabeln aus unseren jeweiligen Landessprachen in die bolognesischen Fangesänge einbauen. Je nach Spielsituation übersetzte ich "Kommt schon" "Auf gehts" "Schieß" und "Kleine Drecksau". Man sang begeistert, unsere Ungarin ging zur Pause Vereinsschals kaufen. Die Gegentribüne bestand aus 15 Fans, die ihr Transparent schon nach zwanzig Minuten einrollten.

In der zweiten Halbzeit begann es zu regnen, was die Irin an die Stadionbesuche in der Heimat erinnerte, und den Rest daran, dass die Regenklamotten sicher zuhause im Warmen lagen. Die Verrückten verabschiedeten sich von uns und begannen, auf die Zäune zu klettern, weil sonst so wenig los war, und hinter uns brüllte ein Mann um die 120 "Ar-ra-tak-ko, Ar-ra-tak-ko!", aber niemand wusste, welche Sprache das sein könnte. Später fand der Holländer heraus, dass sein Bier ein alkoholfreies war und die einzigen Getränke mit Prozenten, die man im Stadion erwerben konnte, kleine Kaffeedösschen mit Whyski. Glücklicherweise brachen wir um diese Zeit bereits auf, denn er schien wild entschlossen, sich die entgangene Angetrunkenheit mit allen Mitteln nachträglich zu holen. Den Norwegern war mit einem Mal kalt, was uns alle irritierte, und die italienische Busgesellschaft reagierte auf die überhöhte Nachfrage an Fahrgästen mit der völligen Einstellung des Angebotes. Nur dem kulinarischen Instinkt der Österreicherin ist es geschuldet, dass wir um die Ecke eine Geheimtipp-Pizzeria fanden, in der man richtiges Bier verkaufte, und Pizza, und warme Plätze am Holzofen. Als wir danach gestärkt zusammen saßen, fragte noch irgendwer nach dem Ergebnis des Spiels.

Mittwoch, 7. November 2007

Ampelphase

Mit Ampeln in Bologna ist das so eine Sache: Wer daran gewöhnt ist, Rot als Stop und Grün als Go zu deuten, kommt hier nicht weit. Meist nicht einmal bis zum Mittelstreifen.
Eine deutsche Einstellung zu Verkehrsregelungen ist in Italien der kürzeste Weg ins Krankenhaus. Die ersten Tage in der Stadt sind geprägt von den Adrenalinstößen, welche den gestressten Organismus kurz vor dem Hechtsprung aus der Schusslinie einer zerbeulten Stoßstange überfluten. Kombiniert mit dem italienischen Kaffee ist der Puls etwa eine Woche lang auf dem Niveau eines Marathonläufers kurz vor der Zielgeraden. Man zittert ununterbrochen, erschrickt bei jedem Motorengeräusch und bekommt auch angesichts unbefahrener Landstraßen Schweißausbrüche von Mathe-mündlich-im-Abi-Qualität.
Dabei kann man den Italienern nicht vorwerfen, sie würden die Verkehrszeichen nicht beachten. Einbahnstraßen werden nur in der entsprechenden Richtung befahren, bei Parkzonen geht es um Millimeter, Vorfahrtszeichen werden mit euphorischem Druck auf das Gaspedal gefeiert. Es kommt auch durchaus vor, dass jemand bei einem Stoppschild, einem Vorfahrt-Achten oder eben einer roten Ampel anhält. Nur eben: nicht immer.

Wann denn, lässt sich nicht ohne Weiteres sagen. Man muss ein Gefühl dafür bekommen. Ampeln werden hier mehr als Optionen interpretiert. Ein grünes Licht heißt eben nicht

"Gehen/Fahren/Losmachen"


sondern

"So. Pass auf. Wenn du Lust hast, dann könntest du jetzt diese Kreuzung passieren. Überleg dir, wie die dich heute fühlst, wie du gelaunt bist, was deine weiteren Pläne sind. Hast du es eilig? Musst gar zu einem Termin? Oder ist das dein Bus, da vorne? Also, Junge, hör zu. Ich bleib noch ne Weile grün, dreißig Sekunden etwa. In der Zeit guckst du jetzt mal schön nach links und, wenn du schon dabei bist, nach rechts auch noch. Und dann schaust du nochmal nach links, nur sicherheitshalber. Und wenn dann immer noch niemand in Sichtweite ist, dann schätze dich sehr glücklich denn das ist selten hier. Dann heb die Arme, winke in alle Richtungen und verfalle in leichtes Jogging, während du die Straße überquerst (schön weiter nach rechts und links gucken!). Optional rate ich dir auf die letzten Meter zu einem kleinen Sprint, man kann ja nie wissen. So, Junge, jetzt haben wir uns aber ein bisschen verquatscht. Ich bin nur noch zehn Sekunden grün, sorry, mein Fehler. Tja, und was ist nun mit dir? Kommst du noch? Überlegs dir! 3...2...1..."

Das heißt hier Grün. Von Rot ganz zu schweigen.

Aber wer die ersten Tage überlebt, hört ohnehin bald auf, die Ampeln zu beachten.
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Bella Mortadella

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