Mittwoch, 7. November 2007

Benvenuto - 2

Woran Sie merken, dass Sie in Italien sind.

-Im Stadion spricht man Sie an, lobt Sie für Ihre Sprachkenntnis, drückt Ihnen eine riesige Fahne in die Hand. Begeistert schwenken Sie die Fahne, einmal, zweimal, nochmal, sehen dann die Menge, die auf Sie zeigt, jubelt, lacht. Bei genauerer Betrachtung der Fahne bemerken Sie, dass neben dem Vereinswappen in großen Lettern "Tourist in Bologna" auf Ihrer Fahne gedruckt steht. Sie setzen die Fahne ab.

Die lyrische Folterkammer

Ich sitze also: in dieser Vorlesung. Es geht um: deutsche Lyrik. Else Lasker-Schüler, um genau zu sein, Expressionismus, den man nicht mal auf deutsch versteht, von Italienisch ganz zu schweigen. Leider schweigt man nicht, im Falle der Dozentin, stattdessen liest man: laut. Alle. Gedichte. Das hört sich sehr merkwürdig an.

Der italienische Akzent beim Versuch, deutsch zu sprechen, ist: bekannt. Leider ist er: kein Klischee. Die blonde Dame, deren Hoch-Italienisch so sanft vom Pult auf uns herabperlt, dass ich mich wohlig in den Strom der Satzketten schmiege und ganz vergesse, dass ich kein Wort verstehe, diese Dame also radebrecht sich durch die Gedichte um die Jahrhundertwende, dass ein Wagen mit zwei gebrochenen Achsen auf einem Feldweg im Sauerland flüssiger vorankommt. Wenn man Buchstaben Schmerzen zufügen kann, in dem man sie verbal übers Knie bricht, ist der Vorlesungsraum eine grausame Folterkammer.

In diesem Kurs sitze nun also: ich. Und zweiunddreißig italienische Studentinnen, die mit großen Ohren und Augen dasitzen, wenn sich ihre Dozentin an Vokalen verschluckt, mit einzelnen Kommata ringt, fast an Doppelkonsonanten erstickt und röchelnd letzte Silben vor das Pult kotzt, und sie glauben: So hört sich Deutsch an.

Ich meine: es ist ja nicht so, dass Deutsch gegenüber dem Italienischen oder Französischen ästhetisch viel zu bieten hätte. Irgendjemand hat mal sehr gewagte Vergleiche zwischen der Härte der Sprache und manchen fanatischen Handlungen beschworen. Muss man nicht, aber richtig ist sicher: Schön klingt es kaum, das Deutsch, für fremde Ohren, sicher nicht. Aber das hat die Sprache dann doch auch nicht verdient, immerhin: sie kann ja nichts dafür.

Als die Dozentin nun heute mal wieder an einer besonders garstigen Konsonantenhäufung zu scheitern drohte und verbissen um den Fortgang des Satzes kämpfte, tat ich, ohne es zu wollen, etwas, dass ich immer verachtet habe: Ich murmelte die korrekte Aussprache vor mich hin. Unwillkürlich. Ich sah aufs Blatt dabei und wollte mir schon im selben Moment auf die Zunge beissen. Solche Leute, dachte ich, solche Leute sind das letzte. Einen kurzen, lichten Moment hoffte ich noch, es sei vielleicht zu leise, besser: leise genug gewesen. Dann sah ich auf und bemerkte: war es nicht.

Es ist ohnehin schon nicht angenehm, der einzig männliche Teilnehmer eines Seminars zu sein. Der einzig männlich-ausländische Teilnehmer zu sein ist noch ein Stückchen unangenehmer. Der einzig männlich-ausländische Teilnehmer eines Seminars, der jemals in selbigem etwas gesagt und dabei sogar die Dozentin unterbrochen hat, zu sein, ist tendenziell blöd. Man sah mich an, ich errötete und zog es vor, so zu tun, als hätte ich gar nichts bemerkt. Nicht die cleverste Taktik, könnte man meinen, denn die Allgemeinheit schien die Quelle des Gemurmels zweifelsfrei lokalisiert zu haben. Einige Sekunden geschah gar nichts. Dann holte die Dozentin Luft, fixierte mich, und radebrechte noch einmal die ganze Zeile, inklusive der fraglichen Stelle, herunter, wobei sie ihre Augen keinen Sekundenbruchteil von mir abwandte. Ich bestand die Prüfung, zuckte nicht, obwohl sie es so markerschütternd wie zuvor aussprach, und ab der nächsten Strophe sah sie und der Rest des Auditoriums wieder aufs Blatt. Nach der Stunde verließ ich als einer der ersten den Raum. Erst an der Bushaltestelle merkte ich: dass Gedichtblatt und Stift noch auf meinem Tisch liegen mussten.

Die Boungiorno-Schwelle

An diesen Punkt kommt man sicher immer, wenn man in einem fremden Land ist: Der Punkt, an dem jeder Reiseführer zu einem nutzlosen Haufen Papier wird, und jede mühsam erworbene Sprachkenntnis zu vergeblichem Hirnzellenballast. Der Punkt, an dem man einsehen muss, dass wahre Kenntnis des Landes mehr erfordert, als man aus Büchern lernen kann. Der Punkt, an dem man das Land ins Gefühl bekommen muss, oder abreist. In Italien kommt man recht schnell an diesen Punkt. Nachmittags.

Es gibt: Buongiorno. Und: Buonasera. Guten Tag und guten Abend. Dazwischen passen noch Ciao (nur zu Freunden), Salve (nur zu Underground-Szene-Freunden) und buon pommeriggio (nie). Wann man nun Buongiorno sagt und wann Bounasera, scheint auf den ersten Blick recht logisch. Tricky wird die Sache dadurch, dass der Italiener den "Abend" schon etwas früher ansetzt. Nämlich irgendwann davor.

Die Betonung liegt allerdings auf "irgendwann" - jeden Tag ist dieser Zeitpunkt ein anderer. Und jeden Tag sind sich alle stillschweigend einig, wann es soweit ist. Alle außer mir. Mehrfach begrüßte ich nun schon gegen drei Uhr Nachmittags Menschen mit Buonasera, die nachgerade empört darüber waren. Allerdings sagte ich erst gestern gegen zwei Buongiorno in einem Geschäft, woraufhin man mich fast des Ladens verwiesen hätte. Bitte ich hilflos um Aufklärung, nehmen mich freundliche Italiener an die Hand, zeigen auf den Stand der Sonne, erspüren zwischen Zeigefinger und Daumen die Luftfeuchtigkeit, halten den Finger in den Wind und erklären mir achselzuckend, dass es doch völlig klar sei, was man um diese Zeit des Tages zu sagen habe.

Keine Frage: der durchschnittliche Landesbewohner hat schlicht im Gefühl, wann er welchen Ausdruck verwenden muss. Ein kollektiver Buongiorno-Schalter befindet sich in den Köpfen der Hießigen, und er kippt jeden Tag auf Buonasera, wenn die Zeit dafür gekommen ist. "Stranieri" wie ich hampeln um diese Zeit hilflos durch die Nachmittagssonne und lösen sich im Zeitgefüge auf, weil sie den Akklimatisationsprozess nicht schnell genug geschafft haben.

Das bekommt man, sage ich mir, sicher ins Gefühl, nach einiger Zeit, ganz sicher, und sicher bald. Bis dahin muss ich eben geduldig sein. Warten. Und niemanden mehr begrüßen, zwischen eins und fünf.

Benvenuto - 1

Woran Sie merken, dass Sie in Italien sind

-Sie mutieren beinahe umgehend vom Nichtraucher zum Eigentlich-Nichtraucher

-Wenn Leute mit Ihnen sprechen, sehnen Sie sich nach einer Real-life-Slow-Motion-Funktion

-Wenn Sie einem Obststand ausweichen, stolpern Sie gegen den nächsten

-Es gibt keine Stadtkarte. Sie brauchen keine Stadtkarte.

Gebrauchsanweisung für Italien - 1

Kaufen Sie nicht: in der erstbesten Bar direkt an der Hauptstraße Ihren kleinen Snack für zwischendurch.

Das wird passieren: Sie zahlen einen Preis, für den Sie die Zutaten Ihres Sandwiches in Blattgold einlegen und mit Diamanten pökeln könnten.

Gehen Sie stattdessen:
eine Straße weiter. Und dann noch eine. Und dann noch eine. Jetzt haben Sie Fischgeruch in der Nase und stehen in einer schmalen Gasse auf schäbigem Kopfsteinpflaster? Hier sind Sie richtig. Im schlimmsten Fall bekommen Sie beim nächsten Händler das gleiche Sandwich wie an der Hauptstraße zu bezahlbaren Konditionen, im besten eine Gemüse-Schinken-Spezialität aus der Region und noch eine gratis-Birne.

Ampelphase

Mit Ampeln in Bologna ist das so eine Sache: Wer daran gewöhnt ist, Rot als Stop und Grün als Go zu deuten, kommt hier nicht weit. Meist nicht einmal bis zum Mittelstreifen.
Eine deutsche Einstellung zu Verkehrsregelungen ist in Italien der kürzeste Weg ins Krankenhaus. Die ersten Tage in der Stadt sind geprägt von den Adrenalinstößen, welche den gestressten Organismus kurz vor dem Hechtsprung aus der Schusslinie einer zerbeulten Stoßstange überfluten. Kombiniert mit dem italienischen Kaffee ist der Puls etwa eine Woche lang auf dem Niveau eines Marathonläufers kurz vor der Zielgeraden. Man zittert ununterbrochen, erschrickt bei jedem Motorengeräusch und bekommt auch angesichts unbefahrener Landstraßen Schweißausbrüche von Mathe-mündlich-im-Abi-Qualität.
Dabei kann man den Italienern nicht vorwerfen, sie würden die Verkehrszeichen nicht beachten. Einbahnstraßen werden nur in der entsprechenden Richtung befahren, bei Parkzonen geht es um Millimeter, Vorfahrtszeichen werden mit euphorischem Druck auf das Gaspedal gefeiert. Es kommt auch durchaus vor, dass jemand bei einem Stoppschild, einem Vorfahrt-Achten oder eben einer roten Ampel anhält. Nur eben: nicht immer.

Wann denn, lässt sich nicht ohne Weiteres sagen. Man muss ein Gefühl dafür bekommen. Ampeln werden hier mehr als Optionen interpretiert. Ein grünes Licht heißt eben nicht

"Gehen/Fahren/Losmachen"


sondern

"So. Pass auf. Wenn du Lust hast, dann könntest du jetzt diese Kreuzung passieren. Überleg dir, wie die dich heute fühlst, wie du gelaunt bist, was deine weiteren Pläne sind. Hast du es eilig? Musst gar zu einem Termin? Oder ist das dein Bus, da vorne? Also, Junge, hör zu. Ich bleib noch ne Weile grün, dreißig Sekunden etwa. In der Zeit guckst du jetzt mal schön nach links und, wenn du schon dabei bist, nach rechts auch noch. Und dann schaust du nochmal nach links, nur sicherheitshalber. Und wenn dann immer noch niemand in Sichtweite ist, dann schätze dich sehr glücklich denn das ist selten hier. Dann heb die Arme, winke in alle Richtungen und verfalle in leichtes Jogging, während du die Straße überquerst (schön weiter nach rechts und links gucken!). Optional rate ich dir auf die letzten Meter zu einem kleinen Sprint, man kann ja nie wissen. So, Junge, jetzt haben wir uns aber ein bisschen verquatscht. Ich bin nur noch zehn Sekunden grün, sorry, mein Fehler. Tja, und was ist nun mit dir? Kommst du noch? Überlegs dir! 3...2...1..."

Das heißt hier Grün. Von Rot ganz zu schweigen.

Aber wer die ersten Tage überlebt, hört ohnehin bald auf, die Ampeln zu beachten.
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