Mittwoch, 14. November 2007

Gestern

übrigens, lief ich eine Straße entlang, auf einmal gehindert von einer roten Absperrung. Die ist man hier nun gewohnt, denn ständig kann etwas einstürzen, ständig wird etwas renoviert, und täglich geht man also andere Wege zum selben Ziel.
Gestern aber stürzte nichts ein und es wurde nichts daran gehindert, stattdessen drehte man einen Film. Meine Buslinie kreuzend war das Set aufgebaut, viele wichtige Menschen wuselten herum, ein weißhaariger Regisseur saß auf einem nachtschwarzen Hocker und ich schien der einzige zu sein, der angesichts derart monumentaler Ereignisse überlegte, wie er denn nun nachhause käme.
Dass man hier Filme dreht, scheint öfter vorzukommen, so hört man immer wieder. Von einer Bekannten erfuhr ich die nette Anekdote, ihr Mitbewohner sei einst, von Lärm aufgeschreckt, vor die Tür gegangen. Er wollte sich gerade beschweren, da rannte ihm eine aufgebrachte Menge entgegen, hinter ihr, die Ursache des Lärms, ein Panzer. Von Panik mitgerissen schloss sich der Mitbewohner der Menge an, schrie und rannte in Todesangst, spurtete panisch zur nächsten Ecke. Natürlich handelte es sich um einen Film, in Wirklichkeit. Aber man schnitt ihn später nicht heraus, weil sein Schrei so lebensecht geklungen habe.
Gestern wurde keine Kriegsszene gedreht, stattdessen muss es ein Historienfilm gewesen sein, beurteilt nach der Kleidung der Akteure. Sie trugen Hut und Anzug oder Kleid und Perücke, die Szene lief ohne Dialog: Ein Paar ging an einem anderen Paar vorbei und drehte sich nach ihm um. Das wurde etwa fünfzehn Mal gedreht, unterbrochen von zehnminütigen Pausen, der Regisseur sagte die Zeit über nichts und man kam schließlich darauf, dass das Problem an der Schminke der Hauptdarstellerin lag, und verordnete eine Maskenpause.
Ich entschloss mich für einen großräumigen Umweg. Später hörte ich noch, es habe sich bis Abends hingezogen, wegen Schwierigkeiten bei der Beleuchtung.

zur Not rot

Man sagt auch "la Rossa" zu Bologna, und davon abgesehen, dass jede größere italienische Stadt unter fünf Spitznamen gar nicht erst die Tore öffnet, macht "die Rote" durchaus Sinn: Alles ist rot hier. Zumindest sind es die Dinge, die nicht von Natur aus andere Farben haben.
Ursprünglich kommt der Name von roten Ziegeln auf den Häusern. Was paradox ist, die sind nun auch woanders rot. Was außerhalb Bolognas nicht unbedingt für die Häuser selbst gilt: Läuft man die Hauptstraße hinauf, ergibt sich eine Facettenwanderung entlang an mehr Rottönen, als man Namen dafür hat (und man kann sich kaum einen ausdenken, weil schon der nächste unbekannte Ton ins Auge sticht). Die Palette reicht vom feinen Sandsteinrot der Mauern (an die sich niemand lehnt, weil man instinktiv annimmt, sie würden abfärben) über das grelle Tomatenrot der Villen (das bei Sonnenuntergang auf unerklärliche Weise ein enorm dekadentes Leuchten erzeugt) bis zum satten Burgunderrot der Bushaltestellen. Rot sind auch: Die Busse selbst, die Zeitungsständer, die Postkästen, die Telefonzellen, die Kioske, die Standuhren, die Logos der Supermärkte, die stärkste politische Gruppierung, der Boden der größten Kirche, die Wände der berühmtesten Kapelle, der Marmor auf allen Altären, der Großteil des Bürgersteigs und mit einem zugedrückten Auge auch die Stadtwurst. Alles ist rot in Bologna, und hätte nicht Uwe Timm bereits ein deprimierend gutes Buch über die Farbe und ihre Folgen geschrieben, man käme an dem Thema spätestens hier nicht mehr vorbei.
So kommt man auch nicht dran vorbei, aber man denkt sich dabei nicht mehr viel. Höchstens, dass Bologna u.a. auch "die Gelehrte" und "die Fette" heißt, und man dankbar dafür sein sollte, dass nie jemand auf die Idee kam, alle Spitznamen in einem Maskottchen zu vereinen, denn das wäre dann ja auch nicht zu übersehen gewesen.

Ganz leise Busbeschwerde

Und dann steht man wieder an der Haltestelle, und inzwischen ist es ja auch schon ziemlich kalt hier, und man hat ja aufgehört mit dem Rauchen, und daher hat man dann ja nichts zu tun, und alle anderen rauchen ja noch, aber der Bus kommt ja trotzdem nicht, und wärmer wird es ja auch nicht, und da steht man dann ja da und ärgert sich.

Und dann kommt der Bus endlich.
Und der Busfahrer öffnet.
Und man steigt ein.

Und dann darf man keine Unmutsäußerung von sich geben, denn jede Unmutsäußerung versteht der Bolognese leider als Kritik an seiner Arbeitsweise,
und jede Kritik an seiner Arbeitsweise versteht der Bolognese leider als persönliche Beleidigung,
und für jede persönliche Beleidigung schneidet einem der Bolognese leider die Nase ab,
und wer mich kennt,
der weiß,
das gefiele mir nicht.

Dienstag, 13. November 2007

Hair day

Wahrscheinlich war es ein Fehler, überhaupt zum Friseur zu gehen. In Italien trägt niemand längere Haare, ich hätte es wissen müssen.
Möglicherweise war es auch unklug, vorher nicht die Ausdrücke für "kürzer, bitte.", "weniger kürzer, bitte." und "nein, eigentlich wirklich nur ein ganz klein bisschen kürzer, bitte!" zu lernen.
Auf jeden Fall war es ganz und gar nicht schlau, sich fürs Sitzenbleiben zu entscheiden, als der nette Lehrling den Rasierapparat warmlaufen ließ.
Man muss wissen, ich bin nicht eitel, höchstens ein wenig. Aber man muss wissen, ich trage die Haare schon lange lang. Man muss zudem wissen, dass ich sie mag, meine Haare, und dass sie mich meist zu mögen schienen, wenn ich nett zu ihnen war. Man muss allerdings wissen: Unter nett verstehen meine Haare, in Ruhe gelassen zu werden (und ich ja häufig eigentlich auch).
Zudem sei angemerkt, dass in meinem Metier lange Haare eigentlich Mode sind, und jeder Verstoß gegen die Mode ein Statement (und jedes Statement ein kreativer Akt im Gesamtkontext, aber das führt jetzt zu weit).
Außerdem muss erwähnt werden, dass meine langen Haare eigentlich lange braune Haare waren, abgesehen von ihrem unteren Drittel von der Haarwurzel aus gesehen, da waren sie blonde lange Haare, aber dieses Drittel ist jetzt weg, und nicht nur das Drittel, oh nein, nicht nur das, aber das auch noch: Blond sind sie nicht mehr.
Und allgemein sei wenigstens hier konstatiert, dass man mir auch verschiedentlich sagte, lange Haare passten zu mir, das sei hier festgehalten, in jedem Fall, bevor sich wieder niemand mehr daran erinnert, weder an die langen Haare, noch daran, das gesagt zu haben, noch an alles andere.

Ach, was will ich sagen.

Ich war beim Friseur.

Jetzt alles kürzer.

Bisschen.


(und der Scheitel zeigt in die andere Richtung, aber da kann ich nichts dafür, das wollte er so.)

(Spannend, ich weiß.)

Sprichst du mich, sprichst du sonst nichts

Anfangs wunderte ich mich darüber, dass kein Italiener Englisch kann. Zumindest nur wenige, und noch habe ich niemanden getroffen, der es halbwegs flüssig beherrscht.
Doch je länger ich hier bin, desto mehr begreife ich: Italienisch ist eine eifersüchtige Sprache. Wenn du mich sprichst, sprichst du nichts anderes - das Land gleicht einer Mausefalle für Fremdsprachenkenntnisse.
So erklärt sich, warum die meisten tatsächlich nur Italienisch sprechen. So erklärt sich, warum nicht einmal die Tourist-Info mehrsprachige Broschüren hat. So erklärt sich, warum mein Englisch-Wortschatz schneller schrumpft als ein Schneemann auf Hawaii.

Ich merkte es, als ich gestern eine englische Sitcom sah: Plötzlich verstand ich nur noch die Hälfte der Folge (obwohl ich sie schon kannte!). Danach surfte ich probehalber auf einigen englischen Websites und fand den Verdacht bestätigt: Es hätten auch Koranübersetzungen sein können. Ich hatte keine Ahnung, worum es ging.
Nicht, dass ich täglich Englisch bräuchte. Gut, das Gefühl, mich in Weltsprache einigermaßen verständigen zu können, werde ich schon vermissen. Aber dafür habe ich bald 60 Millionen Italiener zum Reden.
Das divenhafte Benehmen der Sprache ist trotzdem ziemlich unfair. Vom Spanischen (300 Millionen) oder Französischen (immerhin 100 Millionen) sind solche Eskapaden nicht bekannt, und damit könnte ich mich wenigstens weltweit verständigen. Italienisch spricht man nur in Italien und auch in Italien eigentlich nicht. Es gibt über 50 Dialekte, die meisten davon deutlich weiter von der Ursprungssprache entfernt, als Bayerisch von Deutsch (also: weit).
Eine linguale Einbahnstraße ist Italienisch auch noch: Spanier, Franzosen, sogar Portugiesen können in ihrer Muttersprache auf Italiener einreden und die verstehen ungefähr, was gemein ist. Andersherum funktioniert das nicht, nein, nicht im Geringsten.

Das nun alles nicht weiter wichtig: Englisch kann man wieder lernen und ich bleibe ja nicht für immer hier. Es ist eine andere Angst, die mich seit gestern umtreibt: So groß ist mein Englischer Wortschatz nun auch wieder nicht. Ich habe keinen genauen Überblick, aber wenn es in diesem Tempo weitergeht, dann könnte er bald verbraucht sein. Und mir graut vor dem, was kommen muss: Einer hungrigen italienischen Sprache möchte man nicht nachts auf der Straße begegnen.
Womöglich macht sie sich rücksichtslos über meinen Deutschwortschatz her, knabbert an geliebten Adjektiven, beschnüffelt gierig zitternde Verben, sabbert angesichts fetter Substantive, die sich in einer Ecke zusammengerottet haben (sie waren noch nie besonders helle). Ohne, dass ich es verhindern kann, wird sie sich durch mein Deutsch futtern,wie ein Tieger nach einem jahrelanger Joghurtdiät, und wenn ich in die Heimat zurückkehre, bin ich vielleicht Sprachwaise ohne Ersatzmutter (aber mit einem erbärmlichen Italienisch, das voll und faul in der Ecke liegt und so karg im Ausdruck ist, wie bisher).

Deswegen lerne ich jetzt Englisch in Italien. Irgendeinen Puffer braucht man ja. Heute geht es los: Täglich 20 Vokabeln. Das ist die Dosis, mit der ich hoffe, das Biest unter Kontrolle halten zu können. Wenn es gieriger wird, muss ich mich nach anderen Lösungen umsehen. Hauptsache, ich kann es noch ein paar Monate von meinem Lieblingswortschatz fernhalten.
Wenn die Einträge auf diesem Blog weniger und wortkarger werden, seid so nett, bezahlt mir ein Flugzeug.

Sonntag, 11. November 2007

Die 5 größten Dinge

in Bologna:
1. Der erste der zwei Türme (137 m).
2. Die Liste der Erasmus-Studenten (fast erster).
3. San Petronio (Kirche).
4. Wut auf Carabinieri (Tendenz steigend).
5. Der zweite der zwei Türme (gut halb so groß wie N.1).
DUE-TORRI

Die 5 schönsten Dinge

in Bologna:
1. Blick vom Berg: San Luca.
2. ca.20 000 Obststände.
3. 38 km Säulengang.
4. Via Zamboni!
5. Klar. Mortadella.
SanLuca

Die 5 meistbeachtetsten Dinge

in Bologna:
1. Mortadella
2. Donne
3. Donne bionde
4. Donne bionde di Germania
5. Protestaufrufe aller Art, gern nachts
mortadella1

Die 5 unwichtigsten Dinge

in Bologna:
1. Ampeln
2. Italienisch
3. Carabinieri
4. Rauchverbot
5. Abfahrtszeiten
ampel

Die 5 wichtigsten Dinge

in Bologna:
1. Tortellini
2. Mortadella
3. Limoncello
4. Zwei Türme
5. Stadtheiliger
tortellini

Freitag, 9. November 2007

Benvenuto - 3

Woran Sie merken, dass Sie in Italien sind

-Sie werden aus dem irrigen Glauben gerissen, braunhaarig zu sein, in dem man Ihnen allenthalben mit aufgerissenen Augen bescheinigt, die blondesten Haare der Stadt zu haben.

-Im Gespräch versichert man Ihnen bereits nach zwei Sätzen, ein wunderbares, geradezu traumhaft-flüssiges Italienisch zu sprechen.

-Man will Zigaretten von Ihnen.

It goes me on the keks

Was stimmt: dass ein Erasmusaufenthalt die Sprachkompetenz verbessert. Definitiv bin ich, schon nach zwei Wochen, deutlich kommunikationsfähiger als zuvor. Vor der Reise hätte ich allerdings angenommen, dass sich in Italien hauptsächlich mein Italienisch verbessern würde. Da aber die meisten Studenten, die ich hier kennenlerne, darin noch genau so schlecht sind, wie ich, fällt diese Sprache eigentlich völlig weg. Gelernt habe ich stattdessen:

- Irish-

- Scottish-

- und ein klein bisschen British-English

- die Tatsache, dass ich einen amerikanischen Akzent habe

- Zeichensprachenspanisch

- Österreichisch

- Steierisch (ja, oh ja: ist ein Unterschied)

- Ein paar Brocken Norwegisch

- Drei Wörter auf Holländisch

- Ein Wort auf Finnisch (ich kann nicht sagen, welches; es ist unanständig und am Ende versteht es noch jemand hier)

Meistens spreche ich alle gleichzeitig, mindestens immer zwei parallel. So macht man das hier, ab einem gewissen Promillepegel verschwimmen die Sprachbarrieren ohnehin und wenn man am nächsten Tag aufwacht, hat sich das linguale Zentrum, getrieben vom Alkohol, selbstständig neu programmiert. Es ist kein Grund zur Sorge, wenn man fortan einen sehr kruden Sprachmischmasch träumt - der Schaden ist zwar irreparabel, aber man gewöhnt sich daran. Sinnvoll wäre allerdings die Einführung einer verbindlichen Erasmussprache - sie wäre zwar komplizierter als Esperanto, aber viel intuitiver erlernbar.

Ich entwerfe mal ein Wörterbuch, in nächster Zeit.

Bici, Bici!

Bologna übrigens: Die Stadt der Fahrräder. Alle haben eins, nur du nicht. Das hat Gründe: Deins wurde geklaut. Aber du kannst es dir wieder kaufen.

Ernsthaft: So ist das. Jeder hat hier stets ein Fahrrad, nur selten hat man einen Monat lang dasselbe. Die Räder zirkulieren, es ist ein ständiger Kreislauf und an der richtigen, der parasitenanfälligen Stelle sitzen die, sagen wir, "Vermittler". Die Vermittler sind freundliche Männer um die dreißig, die dich im Gewühl der Straßen am Ärmel zupfen und flüstern "Bici, Bici?" Anfangs glaubt man noch an undurchsichtige Drogengeschäfte und seltsame Drogennamen, bis man herausbekommt: Ganz normale Fahrradhändler. Sie führen einen meist zwei Straßen weiter. Dort stehen eine Menge Drahtesel, der Zustand ist wechselhaft, der Preis konstant: 10 Euro für ein neues Bici. Umlackieren sollte man allerdings auch.

Hört sich doch erstmal: Nicht schlecht an. Und im Gegensatz zu all den anderen Trotteln kannst du dir ja ein anständiges Schloss kaufen. Allerdings erzählte mir eine Bekannte heute, wie sie nach der Vorlesung zu ihrem neuerworbenen Fortbewegungsmittel zurückkehrte, dass sie auf der Hauptstraße (!) doppelt (!!) abgesperrt hatte - und dort einen ihr bekannten "Vermittler" antraf, der sich gerade mit einer Zange daran zu schaffen machte. Empört protestierte sie in mehreren Sprachen, doch das brachte den Mann nicht aus der Ruhe: Er sah sie nur etwas verstört an und bedeutete, er mache hier schließlich seine Arbeit. Erst auf nachhaltig deutliche Aufforderung zog er widerwillig ab.

Also: Hast du doch kein Fahrrad in Bologna. Oder immer ein neues. Wie alle anderen auch.

Don´t press the button!

Wahrscheinlich kennt es das ganze Internet schon. Falls außer mir noch jemand bislang zu den Unwissenden gehörte: Abhilfe! Sehr witzig, wirklich.

Im Stadion

Der FC Bologna ist sowas wie Lokomotive Leipzig: Er passt qualitativ nicht zur Stadt. Man verleugnet ihn gern und hofft, er möge entweder irgendwann zu Ruhm und Ehre kommen oder sich einfach freiwillig auflösen (im Gegensatz zu Leipzig hat man hier außerdem zwei sehr erfolgreiche Basketballteams, auf die man sich konzentrieren kann). Während Lok Leipzig in irgendeiner Regionalliga dümpelt, hat es der hießige Klub zumindest in die Seria B geschafft - die allerdings ist im Jahresbudget mit den teutonischen Viertligisten vergleichbar. Und noch eine weitere Gemeinsamkeit besteht: Das Stadion ist bekannt als Treffpunkt der Ultras, Leipzigs und Bolognas rassistische Fanblocks sind weithin gefürchtet. So weit, so gut.

Dementsprechend sind die Sicherheitsvorkehrungen am Stadioneingang relativ radikal. Mein Pass wurde so oft kontrolliert, wie bei allen Grenzübertritten dieses Jahr zusammengerechnet. Man sollte meinen, eine Gruppe aus zwei Norwegern, einem Finnen, einer Irin, einer Ungarin, zweier Deutschen, einer Österreicherin, einem Holländers und einem Schotten sei nicht der Prototyp einer faschistischen Schlägergemeinschaft. Aber sicher ist sicher: Es dauerte fünf Minuten, bis der bullige Eingangskontrolleur überzeugt war, dass ich mit meinen zuckerfreien Karamellbonbons niemanden zu bewerfen im Sinn hatte, und der Schotte musste seine Kamera zweimal auseinanderbauen, um die Abwesenheit toxischer Substanzen oder geschickt minimierter Feuerwerkskörper zu beweisen. Dann: waren wir drin.

Dort: war es lustig. Das Stadion hat etwas vom Amphitheater, aber mehr das Alter als die Imposanz. Wir stießen auf Verrückte, die Fahnen verteilten, sie gaben uns welche, wir schwenkten, sie fragten, woher wir kämen, wir sagten es der Reihe nach, sie waren begeistert. In der Folge mussten wir Fußballvokabeln aus unseren jeweiligen Landessprachen in die bolognesischen Fangesänge einbauen. Je nach Spielsituation übersetzte ich "Kommt schon" "Auf gehts" "Schieß" und "Kleine Drecksau". Man sang begeistert, unsere Ungarin ging zur Pause Vereinsschals kaufen. Die Gegentribüne bestand aus 15 Fans, die ihr Transparent schon nach zwanzig Minuten einrollten.

In der zweiten Halbzeit begann es zu regnen, was die Irin an die Stadionbesuche in der Heimat erinnerte, und den Rest daran, dass die Regenklamotten sicher zuhause im Warmen lagen. Die Verrückten verabschiedeten sich von uns und begannen, auf die Zäune zu klettern, weil sonst so wenig los war, und hinter uns brüllte ein Mann um die 120 "Ar-ra-tak-ko, Ar-ra-tak-ko!", aber niemand wusste, welche Sprache das sein könnte. Später fand der Holländer heraus, dass sein Bier ein alkoholfreies war und die einzigen Getränke mit Prozenten, die man im Stadion erwerben konnte, kleine Kaffeedösschen mit Whyski. Glücklicherweise brachen wir um diese Zeit bereits auf, denn er schien wild entschlossen, sich die entgangene Angetrunkenheit mit allen Mitteln nachträglich zu holen. Den Norwegern war mit einem Mal kalt, was uns alle irritierte, und die italienische Busgesellschaft reagierte auf die überhöhte Nachfrage an Fahrgästen mit der völligen Einstellung des Angebotes. Nur dem kulinarischen Instinkt der Österreicherin ist es geschuldet, dass wir um die Ecke eine Geheimtipp-Pizzeria fanden, in der man richtiges Bier verkaufte, und Pizza, und warme Plätze am Holzofen. Als wir danach gestärkt zusammen saßen, fragte noch irgendwer nach dem Ergebnis des Spiels.

Gebrauchsanweisung für Italien - 2

Lassen Sie sich nicht: vom übergroßen Milchangebot verwirren. Klar gibt es Flaschen und Tüten und Plastikflaschen, kleine, große und richtig große Varianten, klar gibt es ca. dreißig verschiedene Firmen und die gesamte Farbskala der Verpackungen, lila, grün, gelb, blau, rosa (!), schwarz (!!), weiß und gräulich. Denken Sie nicht: was kann ich schon falsch machen. Ist doch alles Milch.

Das wird passieren: Sie werden übersüßte Erdbeermilch trinken. Sie werden ausgenommen fette Milch trinken. Sie werden Ziegenmilch trinken. Sie werden Milch trinken, die wie Wasser schmeckt. Sie werden Milch verschütten, weil der Verschluss nur mit Ingenieursdiplom zu meistern ist. Sie werden Milch trinken, die bis 2025 haltbar ist und vermutlich erst ab 2020 schmeckt. Sie werden Muttermilch trinken, vielleicht, woher sollen Sie das wissen? (es steht ja nur "Latte" drauf, und eine Menge Dinge, die Sie nicht verstehen)

Lassen Sie sich stattdessen:
von einer Verkäuferin beraten. Stellen Sie sich vor das Milchregal, lassen Sie die Dame auf jede einzelne Packung zeigen und schütteln Sie beim ersten Substantiv, das Ihnen verdächtig vorkommt oder das Sie nicht kennen, den Kopf. Erlaubt sind: procenta di grassa 3,5 oder 1,5; no conservanti; per bevere subito. Nicht erlaubt sind: andere Vokabeln.

Mittwoch, 7. November 2007

Benvenuto - 2

Woran Sie merken, dass Sie in Italien sind.

-Im Stadion spricht man Sie an, lobt Sie für Ihre Sprachkenntnis, drückt Ihnen eine riesige Fahne in die Hand. Begeistert schwenken Sie die Fahne, einmal, zweimal, nochmal, sehen dann die Menge, die auf Sie zeigt, jubelt, lacht. Bei genauerer Betrachtung der Fahne bemerken Sie, dass neben dem Vereinswappen in großen Lettern "Tourist in Bologna" auf Ihrer Fahne gedruckt steht. Sie setzen die Fahne ab.

Die lyrische Folterkammer

Ich sitze also: in dieser Vorlesung. Es geht um: deutsche Lyrik. Else Lasker-Schüler, um genau zu sein, Expressionismus, den man nicht mal auf deutsch versteht, von Italienisch ganz zu schweigen. Leider schweigt man nicht, im Falle der Dozentin, stattdessen liest man: laut. Alle. Gedichte. Das hört sich sehr merkwürdig an.

Der italienische Akzent beim Versuch, deutsch zu sprechen, ist: bekannt. Leider ist er: kein Klischee. Die blonde Dame, deren Hoch-Italienisch so sanft vom Pult auf uns herabperlt, dass ich mich wohlig in den Strom der Satzketten schmiege und ganz vergesse, dass ich kein Wort verstehe, diese Dame also radebrecht sich durch die Gedichte um die Jahrhundertwende, dass ein Wagen mit zwei gebrochenen Achsen auf einem Feldweg im Sauerland flüssiger vorankommt. Wenn man Buchstaben Schmerzen zufügen kann, in dem man sie verbal übers Knie bricht, ist der Vorlesungsraum eine grausame Folterkammer.

In diesem Kurs sitze nun also: ich. Und zweiunddreißig italienische Studentinnen, die mit großen Ohren und Augen dasitzen, wenn sich ihre Dozentin an Vokalen verschluckt, mit einzelnen Kommata ringt, fast an Doppelkonsonanten erstickt und röchelnd letzte Silben vor das Pult kotzt, und sie glauben: So hört sich Deutsch an.

Ich meine: es ist ja nicht so, dass Deutsch gegenüber dem Italienischen oder Französischen ästhetisch viel zu bieten hätte. Irgendjemand hat mal sehr gewagte Vergleiche zwischen der Härte der Sprache und manchen fanatischen Handlungen beschworen. Muss man nicht, aber richtig ist sicher: Schön klingt es kaum, das Deutsch, für fremde Ohren, sicher nicht. Aber das hat die Sprache dann doch auch nicht verdient, immerhin: sie kann ja nichts dafür.

Als die Dozentin nun heute mal wieder an einer besonders garstigen Konsonantenhäufung zu scheitern drohte und verbissen um den Fortgang des Satzes kämpfte, tat ich, ohne es zu wollen, etwas, dass ich immer verachtet habe: Ich murmelte die korrekte Aussprache vor mich hin. Unwillkürlich. Ich sah aufs Blatt dabei und wollte mir schon im selben Moment auf die Zunge beissen. Solche Leute, dachte ich, solche Leute sind das letzte. Einen kurzen, lichten Moment hoffte ich noch, es sei vielleicht zu leise, besser: leise genug gewesen. Dann sah ich auf und bemerkte: war es nicht.

Es ist ohnehin schon nicht angenehm, der einzig männliche Teilnehmer eines Seminars zu sein. Der einzig männlich-ausländische Teilnehmer zu sein ist noch ein Stückchen unangenehmer. Der einzig männlich-ausländische Teilnehmer eines Seminars, der jemals in selbigem etwas gesagt und dabei sogar die Dozentin unterbrochen hat, zu sein, ist tendenziell blöd. Man sah mich an, ich errötete und zog es vor, so zu tun, als hätte ich gar nichts bemerkt. Nicht die cleverste Taktik, könnte man meinen, denn die Allgemeinheit schien die Quelle des Gemurmels zweifelsfrei lokalisiert zu haben. Einige Sekunden geschah gar nichts. Dann holte die Dozentin Luft, fixierte mich, und radebrechte noch einmal die ganze Zeile, inklusive der fraglichen Stelle, herunter, wobei sie ihre Augen keinen Sekundenbruchteil von mir abwandte. Ich bestand die Prüfung, zuckte nicht, obwohl sie es so markerschütternd wie zuvor aussprach, und ab der nächsten Strophe sah sie und der Rest des Auditoriums wieder aufs Blatt. Nach der Stunde verließ ich als einer der ersten den Raum. Erst an der Bushaltestelle merkte ich: dass Gedichtblatt und Stift noch auf meinem Tisch liegen mussten.

Die Boungiorno-Schwelle

An diesen Punkt kommt man sicher immer, wenn man in einem fremden Land ist: Der Punkt, an dem jeder Reiseführer zu einem nutzlosen Haufen Papier wird, und jede mühsam erworbene Sprachkenntnis zu vergeblichem Hirnzellenballast. Der Punkt, an dem man einsehen muss, dass wahre Kenntnis des Landes mehr erfordert, als man aus Büchern lernen kann. Der Punkt, an dem man das Land ins Gefühl bekommen muss, oder abreist. In Italien kommt man recht schnell an diesen Punkt. Nachmittags.

Es gibt: Buongiorno. Und: Buonasera. Guten Tag und guten Abend. Dazwischen passen noch Ciao (nur zu Freunden), Salve (nur zu Underground-Szene-Freunden) und buon pommeriggio (nie). Wann man nun Buongiorno sagt und wann Bounasera, scheint auf den ersten Blick recht logisch. Tricky wird die Sache dadurch, dass der Italiener den "Abend" schon etwas früher ansetzt. Nämlich irgendwann davor.

Die Betonung liegt allerdings auf "irgendwann" - jeden Tag ist dieser Zeitpunkt ein anderer. Und jeden Tag sind sich alle stillschweigend einig, wann es soweit ist. Alle außer mir. Mehrfach begrüßte ich nun schon gegen drei Uhr Nachmittags Menschen mit Buonasera, die nachgerade empört darüber waren. Allerdings sagte ich erst gestern gegen zwei Buongiorno in einem Geschäft, woraufhin man mich fast des Ladens verwiesen hätte. Bitte ich hilflos um Aufklärung, nehmen mich freundliche Italiener an die Hand, zeigen auf den Stand der Sonne, erspüren zwischen Zeigefinger und Daumen die Luftfeuchtigkeit, halten den Finger in den Wind und erklären mir achselzuckend, dass es doch völlig klar sei, was man um diese Zeit des Tages zu sagen habe.

Keine Frage: der durchschnittliche Landesbewohner hat schlicht im Gefühl, wann er welchen Ausdruck verwenden muss. Ein kollektiver Buongiorno-Schalter befindet sich in den Köpfen der Hießigen, und er kippt jeden Tag auf Buonasera, wenn die Zeit dafür gekommen ist. "Stranieri" wie ich hampeln um diese Zeit hilflos durch die Nachmittagssonne und lösen sich im Zeitgefüge auf, weil sie den Akklimatisationsprozess nicht schnell genug geschafft haben.

Das bekommt man, sage ich mir, sicher ins Gefühl, nach einiger Zeit, ganz sicher, und sicher bald. Bis dahin muss ich eben geduldig sein. Warten. Und niemanden mehr begrüßen, zwischen eins und fünf.

Benvenuto - 1

Woran Sie merken, dass Sie in Italien sind

-Sie mutieren beinahe umgehend vom Nichtraucher zum Eigentlich-Nichtraucher

-Wenn Leute mit Ihnen sprechen, sehnen Sie sich nach einer Real-life-Slow-Motion-Funktion

-Wenn Sie einem Obststand ausweichen, stolpern Sie gegen den nächsten

-Es gibt keine Stadtkarte. Sie brauchen keine Stadtkarte.

Gebrauchsanweisung für Italien - 1

Kaufen Sie nicht: in der erstbesten Bar direkt an der Hauptstraße Ihren kleinen Snack für zwischendurch.

Das wird passieren: Sie zahlen einen Preis, für den Sie die Zutaten Ihres Sandwiches in Blattgold einlegen und mit Diamanten pökeln könnten.

Gehen Sie stattdessen:
eine Straße weiter. Und dann noch eine. Und dann noch eine. Jetzt haben Sie Fischgeruch in der Nase und stehen in einer schmalen Gasse auf schäbigem Kopfsteinpflaster? Hier sind Sie richtig. Im schlimmsten Fall bekommen Sie beim nächsten Händler das gleiche Sandwich wie an der Hauptstraße zu bezahlbaren Konditionen, im besten eine Gemüse-Schinken-Spezialität aus der Region und noch eine gratis-Birne.

Ampelphase

Mit Ampeln in Bologna ist das so eine Sache: Wer daran gewöhnt ist, Rot als Stop und Grün als Go zu deuten, kommt hier nicht weit. Meist nicht einmal bis zum Mittelstreifen.
Eine deutsche Einstellung zu Verkehrsregelungen ist in Italien der kürzeste Weg ins Krankenhaus. Die ersten Tage in der Stadt sind geprägt von den Adrenalinstößen, welche den gestressten Organismus kurz vor dem Hechtsprung aus der Schusslinie einer zerbeulten Stoßstange überfluten. Kombiniert mit dem italienischen Kaffee ist der Puls etwa eine Woche lang auf dem Niveau eines Marathonläufers kurz vor der Zielgeraden. Man zittert ununterbrochen, erschrickt bei jedem Motorengeräusch und bekommt auch angesichts unbefahrener Landstraßen Schweißausbrüche von Mathe-mündlich-im-Abi-Qualität.
Dabei kann man den Italienern nicht vorwerfen, sie würden die Verkehrszeichen nicht beachten. Einbahnstraßen werden nur in der entsprechenden Richtung befahren, bei Parkzonen geht es um Millimeter, Vorfahrtszeichen werden mit euphorischem Druck auf das Gaspedal gefeiert. Es kommt auch durchaus vor, dass jemand bei einem Stoppschild, einem Vorfahrt-Achten oder eben einer roten Ampel anhält. Nur eben: nicht immer.

Wann denn, lässt sich nicht ohne Weiteres sagen. Man muss ein Gefühl dafür bekommen. Ampeln werden hier mehr als Optionen interpretiert. Ein grünes Licht heißt eben nicht

"Gehen/Fahren/Losmachen"


sondern

"So. Pass auf. Wenn du Lust hast, dann könntest du jetzt diese Kreuzung passieren. Überleg dir, wie die dich heute fühlst, wie du gelaunt bist, was deine weiteren Pläne sind. Hast du es eilig? Musst gar zu einem Termin? Oder ist das dein Bus, da vorne? Also, Junge, hör zu. Ich bleib noch ne Weile grün, dreißig Sekunden etwa. In der Zeit guckst du jetzt mal schön nach links und, wenn du schon dabei bist, nach rechts auch noch. Und dann schaust du nochmal nach links, nur sicherheitshalber. Und wenn dann immer noch niemand in Sichtweite ist, dann schätze dich sehr glücklich denn das ist selten hier. Dann heb die Arme, winke in alle Richtungen und verfalle in leichtes Jogging, während du die Straße überquerst (schön weiter nach rechts und links gucken!). Optional rate ich dir auf die letzten Meter zu einem kleinen Sprint, man kann ja nie wissen. So, Junge, jetzt haben wir uns aber ein bisschen verquatscht. Ich bin nur noch zehn Sekunden grün, sorry, mein Fehler. Tja, und was ist nun mit dir? Kommst du noch? Überlegs dir! 3...2...1..."

Das heißt hier Grün. Von Rot ganz zu schweigen.

Aber wer die ersten Tage überlebt, hört ohnehin bald auf, die Ampeln zu beachten.
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Bella Mortadella

Alles mal probieren.

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